Neue Unternehmenskultur — Weshalb?
Angesichts des Hypes um Agilität, Business Agility und „New Work“ höre ich aus Unternehmen häufig: „Wir brauchen eine neue Kultur!“ Dieser Ausruf wird dann von Consultants gekontert mit dem Allgemeinplatz: „Kultur kann man nicht machen. Kultur entsteht!“
- Wie aber entsteht diese Kultur?
- Und weshalb ergibt das ökonomisch Sinn für ein Unternehmen?
In diesem Artikel möchte ich aufzeigen, wie Unternehmenskultur sich ändert und weshalb das durchaus auch ökonomisch Sinn ergibt.
Effizienz war gestern
Viele mittelständische und grosse Unternehmen sind bereits Jahre oder Jahrzehnte alt. Sie wurden gegründet und sind gewachsen in einer Zeit, als Effizienz das Schlagwort schlechthin war. Jene Unternehmen, die am effizientesten produzieren konnten, hatten Erfolg. Die anderen waren höchstens in einer Nische oder nur sehr kurzfristig erfolgreich.
Effizienz bedeutet, mit möglichst wenig Input den höchsten Output generieren zu können. Bei den Produkten handelte es sich oftmals um Standardprodukte. Das Ziel war somit, mit möglichst wenig Aufwand im Rahmen eines definierten Standardprozesses einen möglichst grossen Output (= grosse Stückzahl) zu erreichen.
Abweichungen vom Resultat waren unerwünscht und kosteten viel Geld (bspw. in Form von aufwändigen Rückrufaktionen). Es ging also darum, ein bekanntes Problem (=Produktfertigung) möglichst immer gleich und mit möglichst wenig Variation (=Fehlproduktion) zu lösen. Kreativität und dezentrale Entscheidungen waren in diesem Umfeld nicht nur nicht gefragt, sondern hätten verheerende Auswirkungen auf die Produktfertigung gehabt und die Effizienz gefährdet.
Die Digitalisierung kehrt diese Ausgangslage fundamental um. Es geht nicht nur mehr darum, möglichst effizient das immer gleiche Problem zu lösen, sondern aus immer neuen Probleme das wichtigste zu identifizieren (Effektivität) und dieses dann effizient zu lösen. Es ist also primär Effektivität gefragt und erst sekundär Effizienz. Zudem wird Effizienz nicht mehr zwangsläufig mit Standardisierung erreicht, sondern viel mehr mit Kreativität entlang der Frage: Wie können wir bestehendes Wissen im Unternehmen nutzen, um ein neues Problem zu lösen?
Die Verlagerung von Effizienz zu Effektivität ist ein Paradigmenwechsel und stellt viele Unternehmen vor grosse Herausforderungen. Die etablierten Strukturen sind nicht auf Effektivität und Kreativität ausgerichtet. Standardisierung und zentrale Entscheidungsinstanzen sind hinderliche Faktoren, um Effektivität zu erreichen.
Alignierung und Autonomie
Damit ein Unternehmen in dieser neuen, digitalisierten Welt Erfolg haben kann, muss es schnell auf sich bietende Opportunitäten reagieren können. Dabei ist eine detailliert ausformulierte langjährige Strategie hinderlich. An deren Stelle tritt der „Strategic Intent“. Dieser ermöglicht eine flexible Alignierung des Unternehmens, auch wenn sich Marktumfeld und Unternehmen stetig verändern.
Damit Mitarbeitende engagiert und kreativ immer neue Probleme lösen können, benötigen sie Autonomie, (Fach-)Kompetenz und müssen einen Sinn darin sehen, das Problem zu lösen. In der Fachliteratur werden diese Faktoren „Autonomy, Mastery & Purpose“ genannt und gelten als die Säulen intrinsischer Motivation. Diese Faktoren werden durch agile Vorgehensmodelle wie bspw. Scrum signifikant gestärkt.
Um Effektivität angesichts einer digitalisierten Welt zu erreichen, benötigt ein Unternehmen also zwei Dinge:
- Flexible Alignierung mittels „Strategic Intent“
- Engagierte Mitarbeitende, die selbstverantwortlich und kreativ Probleme lösen können (und dürfen)
Damit Mitarbeitende in Selbstverantwortung handeln können, müssen in einem Unternehmen dezentrale Entscheidungskompetenzen verankert sein. Und dies, ohne dass dadurch die Ausrichtung des Unternehmens gefährdet wird. Dies wird durch agile Vorgehensmodelle wie bspw. Scrum (und den entsprechenden Skalierungsframeworks) sichergestellt.
Führungskräfte stellen also nicht mehr konkrete Resulate sicher, sondern schaffen vielmehr die Rahmenbedingungen und Strukturen, in denen eine flexible Alignierung und dezentrale Entscheidungen möglich werden.
Solche Rahmenbedingungen können unter anderem folgende Dimensionen umfassen:
- Vision und Ziele (bspw. in Form des Strategic Intent oder OKRs)
- Budgets
- Unterstützungsangebote bei Problemen, die Teams nicht selber Lösen können
Die Veränderung der Unternehmenskultur folgt dementsprechend den Praktiken und Werten, die in einem Unternehmen gelebt werden. Ein paar Beispiele:
- Agile Teams fordern ein, dass sie selbstverantwortlich Entscheidungen treffen können, da sie wissen, dass sie dann effektiver sind.
- Agile Teams, die Hindernisse in der Zusammenarbeit selbst oder mit Unterstützung von Scrum Mastern lösen, ohne den Weg der Eskalation in der klassischen Hierarchie zu beschreiten.
- CEOs und Verkaufsabteilungen die im Kundengespräch keine Produktentscheidungen treffen, da sie wissen, dass das Produktteam ein vollständigeres und umfassenderes Bild des Produktes und dessen Umfeld hat.
Diese Veränderung der Kultur wird nicht von heute auf morgen erfolgen. Vielmehr ist es ein langsamer Prozess, der sehr fragil ist und grosse Achtsamkeit und Bewusstsein von Führungskräften erfordert. Sie sind herausgefordert, sich den eigenen Reaktionen bewusst zu sein. Unbedachte Reaktionen können, gerade bei Führungskräften aus dem höheren Management, grosse Strahlwirkung im Unternehmen haben und positive Entwicklungen zurückwerfen. Die Arbeit an Kulturveränderung beginnt also bei allen Führungskräften bei sich selbst.
Die Resultate zahlen sich aber für Unternehmen mehrfach aus:
- Höherer Fokus der Teams auf Kundennutzen führt zu erfolgreicheren Produkten, welche mehr Umsatz generieren.
- Engagiertere Mitarbeitende sind nachweislich produktiver.
- Führungskräfte, die nicht mehr zentrale Entscheidungsinstanzen sind, sind entlastet von operativen Fragen und können sich dementsprechend intensiver mit Kunden und/oder strategischen Fragestellungen befassen.
Interessiert mehr zu Agile Leadership zu erfahren?
Jetzt für den nächsten Professional Agile Leadership-Kurs anmelden